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Das Leben ist keine Generalprobe

Das Leben ist keine Generalprobe

 

Diese Aussage ist mir kürzlich in Wien begegnet und hat Fragen aufgeworfen, die mich angeregt haben genauer nachzudenken. Steckt in diesen Worten die Aufforderung das Leben spontan anzugehen, frei von den Vorgaben wie es eben ‚richtig‘ sein sollte? Gleichzeitig meine ich permanent eine öffentliche Haltung zu vernehmen, die fast unisono an uns alle appelliert: Stellt euch darauf ein, dass die fetten Jahre endgültig vorbei sind, dass Einschränkungen unumgänglich sind und die Gürtel definitiv enger geschnallt werden müssen. Vorbei sind die lustigen, bewegten und erfolgreichen Jahre. Nun gilt es ernst!Generalprobe Leben

Da fragt sich der besorgte Fachmann ob diese kollektive Problemtrance nicht zusätzlich lähmt und uns die Energie fürs Denken über gewohnte Grenzen raubt. Krisen, und seien sie noch so existenziell, werden selten mit Strategien bewältigt, welche eben gerade in die entsprechende Situation geführt haben. Es scheint als sollten wir uns an den eigenen Haaren aus dem von Touristen entvölkerten  Schnee ziehen.

Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass Krise ‚Einengung‘ bedeutet und nach einer Erweiterung des Handlungsspielraumes ruft, nach dem Verlassen von eingetretenen Pfaden, nach Visionen, die in sich selbst schon Kraft und den Glauben an Veränderungsmöglichkeiten tragen. Da ist es, bei aller Kritik, wohl besser von ‚Türmen‘ zu träumen als in depressiver Stimmung alles zu Grunde zu rationalisieren. Sind wir tüchtig, wenn wir festhalten oder sind wir gefordert uns zu öffnen für etwas das uns vielleicht auch Neues eröffnet?

Natürlich geben uns Sachzwänge und Ängste auch einen Rahmen vor und sind nicht nur reines Hirngespinst. Vergessen wird trotzdem nicht, dass vieles was uns erfreut und antreibt auch ein Konstrukt unserer selbst und unserer Zeit ist. Somit ist es auch relativ – nicht unwahr, jedoch würdig es zu hinterfragen.

Geniessen wir es also umso mehr nicht in einer Generalprobe sondern in einer andauernden Uraufführung zu leben, welche keiner fixen und allseits kontrollierbaren Choreographie folgt. Es reicht, wenn die uns umgebende Alltagswelt und kulturelle Bindung ihre wunderbare Bühne dafür liefert. Klein und fein, jedoch niemals unbewegt!

 

 

´Das Leben ist keine Generalprobe´als Kolumne in der Südostschweiz erschienen / Autor Reto Mischol