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Wenn Trauer zur Krankheit wird – Studie

Trauer im Blick zurück – über pathologische Trauerverläufe

 

Die Leipziger Universitätsmedizin verfügt über einen in Deutschland wohl einzigartigen Studienbereich: die Trauerforschung. Noch wurde das Leiden nicht in die internationale Klassifikation für Krankheiten aufgenommen. Doch schon jetzt steht fest: Prolongierte Trauer, so der meist verwendete Fachbegriff für überdurchschnittlich lang anhaltende Trauer, unterscheidet sich von anderen psychischen Erkrankungen wie Depression oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Und sie führt zu gesundheitlichen Risiken: Herz-Kreislauferkrankungen oder spätere Depressivität können die Folge sein.

 

Ein Fall hat Prof. Dr. med. Annette Kersting sehr berührt. Ein junges Paar hatte sein Kind durch eine Totgeburt verloren, doch die Mutter hörte das Baby im Nebenzimmer weinen. „Es war klar, dass es keine psychotische Störung war“, erzählt die Psychosomatikerin. „Denn die Patientin wusste, dass ihr Kind nicht lebend zur Welt gekommen war. Sein Weinen war eine Trauerhalluzination.“

Auch vor dem Hintergrund dieses Erlebnisses entwickelte die Ärztin eine groß angelegte Studie zur Trauer. Sie untersuchte den Trauerverlauf bei Frauen, die ihr Kind in der Schwangerschaft verloren hatten. Später zeigte sie mit Hilfe der Computertomografie, dass Trauerschmerz dieselben Areale im Gehirn aktiviert wie körperliche Schmerzen. Zu weiteren Projekten gehörte auch ein Internet-Therapieprogramm für die Patientinnen. Hier konnte die Wissenschaftlerin nachweisen, dass ein Jahr nach Beendigung der Therapie das Trauererleben, aber auch Angstzustände und Depressionen durch die strukturierte psychotherapeutische Behandlung per E-Mail abgenommen hatten. „Die Internet-Therapie ist eine effektive Methode, die Trauer zu bewältigen, auch wenn sie sicher nicht für alle Patienten eine herkömmliche psychotherapeutische Behandlung ersetzt“, sagt die Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig.

Frühestens nach sechs Monaten feststellbar

In einer epidemiologischen Studie zeigte sie, dass 6,7 Prozent der deutschen Bevölkerung, die einen Verlust erlebt haben, eine pathologische Trauer entwickeln. Erst seit zwei bis drei Jahrzehnten wird dieses Krankheitsbild insbesondere von amerikanischen Wissenschaftlern zunehmend beforscht. Leitlinien zur Diagnostik wurden entwickelt, etwa dass krankhafte Trauerverläufe frühestens sechs Monate nach dem Verlust festgestellt werden können. Bis dahin kann die Trauersymptomatik eine große Bandbreite aufweisen. Wenn der Trauernde nach sechs Monaten weiterhin im Trauerprozess gefangen ist, sich intensiv nach dem Verstorbenen sehnt, sein Leben als sinn- und bedeutungslos empfindet und nicht in das aktuelle Leben zurückfindet, ist eine Therapie zur Bewältigung der Trauer angezeigt.

Trauerforschung mit Angehörigen von Suizidopfern

Auch in ihrem aktuellen Forschungsprojekt greift Kersting auf das Internet zurück. Ab Frühjahr 2015 wird sie, unterstützt von der Roland-Ernst-Stiftung, zwei Jahre lang die Trauerbewältigung von Angehörigen von Suizidopfern untersuchen. „Wir gehen davon aus, in dieser Zeit etwas 60 Patienten behandeln zu können“, skizziert die Wissenschaftlerin das Studiendesign. Im Rahmen eines fünfwöchigen Behandlungsprogrammes werden den Patienten in drei Phasen strukturierte Schreibaufgaben gestellt. Die E-Mails werden auf einer geschützten Internetplattform innerhalb von 24 Stunden ……

 

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Abschied und Trauer

Abschied – vom Verlassen von Menschen und der Welt

SVEN STILLICH beschreibt in Zeit Online die Spurensuche und verweist darauf, dass wir beim Abschied nie ganz gehen

Wir sind Menschen, wir können nicht anders. Wir hinterlassen Spuren an Plätzen, die wir besuchen, in den Gehirnen anderer Menschen, in der Welt. Mit Absicht oder ohne es zu wollen. Was von uns übrig bleibt, wenn wir einen Ort verlassen, einen Partner oder gar das Leben, haben wir nicht immer in der Hand. Doch immer bleibt etwas zurück, bei uns, in uns, von uns: Kaugummiflecken vor dem Kino, Erinnerungen an den ersten Kuss, das Schnupftuch von Opa. Geld auf der Bank, ihr Geruch im Lieblingspullover, erstarrte Körper in Pompeji. Vieles vergeht schnell, manches bleibt für immer.

Es gibt viele Arten, einem Ort den Rücken zu kehren – so viele, wie es Orte gibt. Man kann freiwillig gehen oder erzwungen, erleichtert oder verschreckt, geplant oder überstürzt. Es gibt Orte, an die man jahrelang immer wieder zurückgekehrt ist, es gibt Plätze, an die man nicht mehr zurückkehren kann. Und es gibt Orte, an denen man nur kurz verweilt: Restaurants, Busse, Supermärkte. Was davon bleibt, sind Kassenzettel, Tickets, Rechnungen. Kühle Beweise eines flüchtigen Besuchs – mit Zeitstempel.

Was immer bleibt, ist verschwindend klein: eine winzige Dosis wir selbst. Unser Körper ist so beschaffen, dass er überall Spuren hinterlässt. Zum Beispiel Hautzellen. 40.000 davon verlieren wir jede Minute, mehr als 50 Millionen am Tag, alle zwei Monate schlüpfen wir in eine neue Haut. Bei jedem unserer Schritte fließt um unseren Körper herum ein feiner Luftstrom, der an den Füßen beginnt, die Beine hochwandert, sich unter den Armen verlangsamt, schneller den Konturen des Gesichts folgt und dann die winzigen Zeugnisse unserer Anwesenheit in der Umgebung verteilt.

Klumpen ein paar Hundert davon zusammen, können wir ……Abschied und Trauer

 

Weiterlesen: http://www.zeit.de/zeit-wissen/2015/01/abschied-trauer-vergaenglichkeit-psychologie

 

Abschied und was von uns übrig bleibt.

Das Gehirn erfindet die Fortsetzung der gemeinsamen Geschichte

Es möge besser werden nach uns, das ist ein globaler Wunsch. „Mögen all jene Probleme gelöst sein, mit denen die Stadt heute zu kämpfen hat!“, schrieb der Gouverneur von New York 1914 in einem Brief, den er in eine Zeitkapsel legte, die erst vor Kurzem – hundert Jahre später – geöffnet wurde. Darin, neben Dokumenten und Zeitungen, ein Almanach aus dem Jahr 1914 und ein Verzeichnis der Börse. New Yorker Jugendliche haben daraufhin eine Zeitkapsel für das Jahr 2114 verschlossen mit dem, was von ihnen übrig bleiben soll für die Menschen in hundert Jahren. Darunter: eine Kreditkarte, weiße Apple-Kopfhörer, ein Amazon Kindle, ein Obama-Anstecker, ein Starbucks-Kaffeebecher und ein T-Shirt, auf dem steht: „Manche Typen heiraten Typen. Also lebt damit“.

Wir wissen um unsere Vergänglichkeit, auch um die nach dem Tod. Nach zwölf Jahren hat sich für gewöhnlich alles Gewebe zersetzt, nur die Knochen liegen noch länger unter der Erde. Nach der üblichen Ruhezeit von 25 Jahren ist im Grab kaum mehr etwas von uns übrig. 32 Millionen Gräber gibt es hierzulande auf 32.000 Friedhöfen, im vergangenen Jahr sind 893.831 Menschen gestorben. Das sind klamme Zahlen, die das Leid und die Trauer nicht zeigen. Das ist zunächst das Einzige, was den auf der Welt Übriggebliebenen bleibt: der Verlust, der Schock. Der irritiert Abläufe im Gehirn. Prozesse in Hirnstamm und Kleinhirn werden gestört, das hat Auswirkungen auf Atmung, Appetit, Schlaf. Das limbische System, das Emotionen, Zeitempfinden und Orientierung regelt, gerät durcheinander. Hinterbliebene reagieren wie vor Urzeiten auf eine Bedrohung mit Flucht, Aggression oder Erstarren. Sie trauern um den Toten, sie trauern um sich selbst, um eine Zukunft, die nicht mehr sein wird.

 

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