Syndrom über Syndrom der Psyche
Eine Gesellschaft voller Sucht nach Erklärung – Die Wiege unserer Syndrome
Als noch keine DNA-Sequenz analysiert war und unsere Gesellschaft sich dem Spezialisierungswahn noch nicht derart verschrieben hatte, da gab’s einige wenige genetische Syndrome, die allgemein bekannt waren. Heute vergeht kein Tag und es begegnet uns nicht ein neues Syndrom, deren Begründer und Jünger für sich in Anspruch nehmen noch ein Winkelchen unseres menschlichen Seins, noch detaillierter ergründet und mit Symptomen und ihrer Beschreibung erklärt zu haben.
Es wird von Burnout-Syndrom und Boreout-Syndrom, von Jerusalem-Syndrom oder auch Asperger-Syndrom gesprochen, um nur einige aktuell besonders geläufige zu nennen. Wohl bemerkt, ich spreche weder von einer guten alten Zeit, in der noch alles zum Besten stand, noch will ich unserer Welt ein neues Apokalypse-Syndrom zuschreiben und mich selbst in die Reihen der hier thematisierten Syndrombeschreiber einordnen. Ich spreche von dem hilflosen Versuch einer Gesellschaft Erklärung und Sinn in ihr Treiben zu bringen. Ich spreche von der Entfremdung und dem Sinnverlust in unserer Tätigkeit als Privatperson und als Berufsmensch, sowie den Mechanismen der Legitimation zur Partizipation am Gesamtkonstrukt Gemeinschaft. Einfacher formuliert, von den Aspekten, die uns in unserem Tun wertvoller und weniger wertvoll erscheinen lassen, die zu Selbstwert, Stolz, Scham oder auch Erkrankung führen können.
Die Suche nach Erklärungen ihrerseits macht Sinn und kann durchaus einen Mehrwert generieren, der Betroffenen Menschen dann zu Gute kommt. Denn dann ist Sinn wieder erkennbar und dient der die Seele heilenden Orientierungsfindung und so der Einordung des Geschehens. Eine zentrale Aufgabe auch in psychotherapeutischen Prozessen. Was dabei auch oft unberücksichtigt bleibt, ist die Analyse der umgebenden und die Symptomentwicklung fördernden Faktoren. Ebenso erfassen pauschale Umschreibungen von Reaktionen und menschlichen Verhaltensspezialitäten nie die individuelle Tiefe des vorliegenden Empfindens.
Erlaubte Fragen sind:
– Dient die Flut von Symptombeschreibungen und der dazugehörigen Diagnosekriterien mehr dazu, die Hilflosigkeit der Fachwelt zu reduzieren oder steht auch das Bekenntnis im Raum, den Betroffenen konkrete Hilfestellungen zu geben und auch die meist unbequemen Systemanpassungen möglich zu machen?
– Wie dienlich sind solche Festzuschreibungen für die Gesundung der Betroffenen? – Wie verändert ein überrissener Diagnostizismus das berufliche Verständnis im Umgang mit Menschen und ihren psychischen Leiden und wie beeinfluss dieser dann wiederum die Theoriebildung und Forschung in ebendieser Art und Weise? (Vgl. dazu auch Prof. H. S. Herzka über Diagnosekriterien im Bereich KJP).
– Wird auf diesem Wege nicht eine professionelle Haltung gefördert, die Machbarkeit in den Vordergrund stellt und Heilsversprechen macht, welche eben nur auf einem fragilen theoretischen Fundament fussen?
– Was, wenn Komorbidität im Raum steht, systemisch-strukturelle Einflussfaktoren dominieren oder die zeitliche Dimension tiefe, nie vergleichbare, Traumata aber auch Ressourcen enthält?
Ist es dann möglich den Menschen in seiner ganz speziellen Bedürftigkeit noch mit einer solchen Sichtweise zu erreichen oder dürfen und müssen wir darauf hoffen, dass ebendiese Fachleute dann ihre ganz persönliche und menschliche Seite ins Spiel bringen und ihre sonst so dominierenden Konstrukte relativieren? Es ist zu hoffen!
Eine fachliche standfeste Offenheit gegenüber der Einzigartigkeit des Gegenübers in der psychotherapeutischen Arbeit zeigt in diesem Sinne nicht nur kompetentes und verantwortungsvolles Handeln, sondern eröffnet dem Therapeuten/der Therapeutin auch ein buntes Feld an Begegnungs- und therapeutischen Beziehungsmöglichkeiten (vgl. dazu Rogers und die Gesprächspsychotherapie), welche pes se Syndromen auf der Seite der Fachleute entgegenwirken kann.
In Bearbeitung und wohl nie zu Ende! 🙂
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