Coming-out in Paarbeziehungen und Ehebeziehungen
Dieser Artikel entstand auf dem Hintergrund einer Interview-Anfrage der Presse im Oktober 2014. Die Fragen beziehen sich im engeren Sinne auf ein Coming-out von Männern. Es wurde in den Antworten jedoch versucht das Thema weitgehend Geschlechter neutral zu beantworten.
Coming-out (von englisch „coming out of the closet“, wörtlich: „aus der Kammer herauskommen“, sinngemäß: „Bekenntnis“, „Offenbarung“) bezeichnet zumeist den individuellen Prozess, sich seiner eigenen gleichgeschlechtlichen Empfindungen oder seiner von gesellschaftlich festgelegter geschlechtlicher Identität oder Geschlechterrolle abweichenden Empfindungen bewusst zu werden und zu akzeptieren – und dies anschließend dem näheren familiären und sozialen Umfeld mitzuteilen (Wikipedia).
– Wenn ein Mann merkt, dass er Interesse nicht nur an seiner Frau, sondern auch an Männer hat: Wie soll er damit umgehen?
Grundsätzlich soll er gegenüber sich selbst mit Neugier und Offenheit reagieren. Wenn sich uns im Leben solche Fragen stellen, dann führt kein Weg an einer vertieften Auseinandersetzung vorbei. In der Phase der sexuellen Identitätsfindung sind diese Themen zudem völlig normal und auch wichtig. Sie führen im guten Fall zu einer gefestigten und reifen Identität und Persönlichkeit. Das Gespräch mit Vertrauenspersonen kann diese Reflexion unterstützen und das Gefühl reduzieren, dass man sich mit solchen Fragen ganz alleine auf der Welt befindet.
– Wie wichtig ist es, dass man beispielsweise eine betroffene Selbsthilfegruppe aufsucht?
Wir sprechen hier von einer ganz normalen Spielform der sexuellen Orientierung und nicht von einer krankhaften Neigung, die behandelt und geheilt sein will. Professionelle Angebote oder themenfokussierte Gesprächsgruppen können Wissen und Erfahrungen vermitteln, das kann durchaus Orientierung gebend sein. Die besten Gesprächspartner sind jedoch diejenigen Personen mit denen man sein Leben teilt.
– Ein Mann stösst auch seine Ehefrau vor den Kopf, wenn er ihr gesteht, dass er sich auch für Männer interessiert?
Meist kommt die Gewissheit nicht plötzlich wie ein Blitz vom heiteren Himmel geschossen. Die Erkenntnis, dass gleichgeschlechtliche Nähe auch angenehme Gefühle auslöst und diese als wünschenswert erlebt, wird bahnt sich meist in einem langen Prozess der Suche seinen Weg. Dies geht an Partnern und Partnerinnen in der Regeln nicht unbemerkt vorbei. Das offene Aussprechen stellt dann gewissermassen einer neue Phase eines gemeinsamen Prozesses dar. Trotzdem kann ein schlussendlich explizit formuliertes Statement schon auch irritieren und verunsichern, weil es auch das gemeinsame Sein in der Zukunft tangieren kann.
– Wie fühlen sich die Frauen dann?
Eine tiefe Kränkung steht meist im Vordergrund, die damit zu tun hat, dass die eigene Bedeutung in der Beziehung zum Partner in Frage gestellt ist. Wie wichtig bin ich noch oder liegt es an meiner mangelnden Attraktivität, dass sich mein Mann ‚anderweitig‘ umschaut. Die gemeinsame Basis der Beziehung ist jedoch selten das was in Frage gestellt ist, ausser gleichgeschlechtliche Beziehungen werden bereits gelebt. Dann unterscheidet sich dieser Teil kaum von demjenigen bei heterosexuellen Aussenbeziehungen.
– Wie soll eine betroffene Frau am besten damit umgehen?
Die Partner sollten sich den neuen Fragen offen stellen und das gemeinsame Gespräch führen. Auch sie kann sich an Freundinnen oder Freunde wenden, um eine neutralere Aussensicht einzuholen. Wichtig ist die Frage an den Partner: Und was denkst du bedeutet dies für uns beide und unsere Zukunft.
– Es ist auch schwierig, wenn eine Frau ihren Ehemann vor die Entscheidung stellt und sagt: Entweder ich oder er?
Die Alles oder Nichts Frage führt in der Regel nie zu einem Ziel, das dann auch eine Stabilität für die weiteren Lebensphasen in sich trägt. Die Möglichkeiten, die Paare in solchen Phasen entwickeln sind sehr mannigfaltig und gute Lösungen sind dann meist so, dass sich beide vorher nie hätten vorstellen können, dass so etwas überhaupt möglich wäre. Trotzdem kann die ultimative Frage auch Klarheit schaffen im Sinne, dass eine Trennung stattfindet und getrennte Wege gegangen werden müssen. Wünschenswert ist dabei das Bewahren von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung.
– Was bedeutet das für die Kinder, wenn der Vater plötzlich auch Männer liebt?
Es liegt in der Verantwortung der Eltern auch gut mit solchen Fragen umzugehen. Die Eltern sind gefordert den Kindern eine gemeinsame Haltung zu kommunizieren und diese auch zu leben. Kinder können so Vertrauen schöpfen, dass ihre Eltern schon eine auch für sie gute Lösung finden. Sie können aber trotzdem verunsichert reagieren und Fragen haben. Für diese sollten Eltern, wie auch im sonstigen Leben, erreichbar und verständnisvoll zur Verfügung stehen.
– Wie soll man das den Kindern beibringen?
Wenn Eltern kindgemäss und sicher mit solchen Mitteilungen an ihre Kinder gelangen, so können diese meist auch gut damit umgehen. Sollten Kinder wegen solcher Tatsachen einen Elternteil ablehnen, so sind auch die Eltern wieder gefordert verantwortlich damit umzugehen. Es ist jedoch auch wichtig, dass Eltern sich bewusst sind, dass Kindern nicht alles mitgeteilt werden muss und sich viele Fragen auch im Prozess des weiteren Zusammenlebens klären. Kinder wollen einfach Vertrauen haben können in das was ihre Eltern tun.
– Kann das gut gehen, wenn der Mann neben seiner Ehe, auch Beziehungen zu Männern führt?
Es bedeutet sicher eine Herausforderung für jedes Paar, wenn eine Drittperson im Spiele ist. Die Realität und auch wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Zahl der Aussenbeziehungen in unserer Gesellschaft gross ist und nicht das Bild von scheinbar idealen monogamen Partnerschaften abbildet. Das Leben ist bunt und hält immer wieder Überraschungen für uns bereit. Schlussendlich hat das hier besprochene Thema mit Sehnsucht, Erotik und auch Liebe zu tun und das ist ja etwas, das wir allen wünschen. Die Sorgfalt ist gefordert als Paar dabei einen Weg zu gehen, der nicht alles Bisherige in Frage stellt sondern nach Neuem sucht.