Eine Kurzbetrachtung jenseits von Namen und Zahlen
Psychotherapie im Wandel
Die Heilung der Psyche mit Mitteln des Gespräches faszinierte die frühen Exponenten der Psychotherapie um das beginnende 20. Jahrhundert. Lediglich auf dem Fundament der Erfahrung und subjekten Erkenntnis der einzelnen Fachperson oder im fast philosophischen Austausch dieser Personen entstanden wegweisende Theorien. Nicht selten war dieser Austausch auch dadurch gekennzeichnet, dass gemeinsam gegen Standesinteressen argumentiert werden musste und gleichzeitig auch auf der Ebene der Konkurrenz gehandelt wurde. Therapeutische Erfolgsgeschichten wurden vor allem an Einzelfallschilderungen aufgezeigt und rege diskutiert.
Allmählich erweiterte sich der Betrachtungsspielraum aus dem medizinischen Bereich in den eigentlichen Raum der Psychotherapie hinein. Der Mensch wurde breiter in seiner Einbettung in einen gesellschaftlichen Raum mit seinen mannigfaltigen Einflussgrössen betrachtet. Es wurde auch mehr und mehr anerkannt, dass es in der Menscheitsgeschichte bereits viele Ansätze und wohl auch wirkungsvolle Verfahren gegeben hat, welche sich der Heilung der Seele widmeten und diese auch in untrennbarer Verbindung zur physischen Gesundheit verstanden haben. Wie in allen wissenschaftlich-akademischen Schulen entwickelten sich auch in der Psychologie und der psychotherapeutischen Forschung mehr und mehr verschiedene Grundhaltungen heraus. Diese waren wohl auch gegenseitig befruchtend, jedoch auch stark darauf bedacht das eigene Gedankengerüst mit ihrer Arbeit zu stützen und gegen Andersdenkendem zu verteidigen. Diese Mechanismen sind bis heute erhalten und auch wirksam geblieben.
Trotzdem konnten dem Gegenstand der psychotherapeutischen Arbeit, dem Menschen und seinem Wohlbefinden, wirksame Interventions- und Begleitungsverfahren zur Verfügung gestellt werden, die von Fachleuten oft in eklektischer Art und Weise genutzt wurden. Die Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn blieb jedoch die ausschlaggebende Variable dieser so wunderbaren Begegnungswelt in der oft grossen Not der Betroffenen und Hilfesuchenden. So bleibt der psychotherapeutische Prozess die Synthese einer Begegnung mit klar definierten Rollen, welche bestimmten Regeln und Standards zu entsprechen hat, sowie von der fachlichen Kompetenz in Bezug auf den Auftrag des Klienten geprägt ist. Die daraus resultierende Dynamik zwischen Gleichstellung in der menschlichen Begegnung und dem fachlichen Kompetenzgefälle verlangt von der Fachperson eine hohe Integrietät und Verbindlichkeit in Bezug auf die Wahrung der gegebenen Grenzen. Innerhalb dieser Spannbreite und Dynamik ist der Gestaltungsspielraum gross und bewegt sich von rein verhaltensorientierten Interventionen, über gesprächsfokussierte bis zu körperorientierten und ebenso spirituellen Zugängen. Diese Vielfalt sollte jedoch nicht mit der Beliebigkeit der einsetzbaren Verfahren gleichgesetzt werden. Vielmehr gilt es in auf den Klienten und seinen Auftrag fokussierten Form ein an der Effektivität orientiertes Vorgehen zu wählen. Dazu stehen heute verschiedene Instrumente, wie Leitlinien und validierte Theorien zur Verfügung, welche das therapeutische Vorgehen in seiner Form aufzeigen und vorgeben. Die konkrete Gestaltung bleibt ein diadisches Produkt der beteiligten Personen und ist so von individueller Einzigartigkeit geprägt, wie sie kaum in anderen wissenschaftlichen Disziplinen möglich ist. Dies macht wohl zu einem wesentlichen Teil die Faszination und die Herausforderung des Arbeitens als PsychotherapeutIn aus.
Selbst bei mehr oder weniger genau vorliegenden Störungbildern haben wir es immer mit einer ganz individuellen Entstehungsgeschichte bei jeweils einzigartigen Menschen zu tun, welche in einem ebenso unverwechselbaren Umfeld leben und sich entwickelt haben. Unikausale Erklärungsansätze greifen dabei immer zu kurz, selbst bei so ‚einfachen‘ Dingen wie z.B. klar erkennbaren Auslösern für eine persönliche Krise oder ein Leiden.
Heute präsentiert sich uns eine breite Palette von therapeutischen Zugängen, die in ihrer Vielfalt sicher noch nicht erschöpft ist. Neben des klassischen Einzelsettings haben sich schon bald auch Theorien enwickelt, welche dem breiteren sozialen System ihre Bedeutung zukommen lassen. Der rein gesprächsbasierte Ebene der Interaktion und Reflektion haben sich Verfahren zur Seite gestellt, welche mit der Diade von Bewusstem und Unbewusstem arbeiten und so verschiedene Bewusstseinszustände als Ressource für die Psychotherapie nutzbar machen. Den körperorientierten Aspekten von Emotions- und Ereigniserinnerungen wird ihr wichtiger Platz im Kontext eines ganzheitlichen Erlebens eingeräumt. Gleichzeitig muss bewusst sein, dass neben jeder dieser Praktiken und deren Umfeldgrundsätze eine ebenso einzigartige Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut stehen, welche die zu Grunde liegenden Ideen in ihrer ganz eigenen und besonderen Form interpretieren und ihrem Gegenüber zur Verfügung stellen. Dieser Konstruktionsprozess begegnet wie oben bereits geschildert wieder einem einem Klienten oder einer Klientin, die wieder ganz Eigenes mitbringt und ganz Eigenes will oder nicht will. Einfach zu vermittelnde Aufgaben und Übungen stehen der Fachperson hilfreich zur Erfüllung seiner Tätigkeit zur Verfügung, welche zielgerichtet sehr effektiv eingesetzt werden können. Diese allein stellen jedoch nur Hilfmittel dar, die ohne fundiertes psychotherapeutisches Wissen und soziale psychotherapeutische Kompetenz ausschliesslich nette Beschäftigungen und Spiele sind, die bei Weitem nicht die Forderung erfüllen auch therapeutische Veränderungen im Denken, Handeln und Fühlen initieren zu können.
Die faszinierende und gleichzeitig auch die soziale wie theoretische Kompetenz der Psychotherapeuten fordernde Dimension ist es, diesem Tätigkeitsfeld immer wieder offen und mit allen ihm oder ihr zur Verfügung stehenden Sensorien zu begegnen. Den eigenen Möglichkeiten und Grenzen sowie behindernden Seiten will reflektiert begegnet werden. Es erfordert Professionalität sie zu nutzen oder zur Seite zu stellen, ohne sich von dem was in jeder konkreten therapeutischen Begegnung gefordert wird, ablenken zu lassen. Ganz im Vertrauen und Wissen, dass sich diese Resonanz der Begegnung einstellen wird. Oder gegebenenfalls zu wissen, was vorliegt und zu tun ist falls diese sich nicht einstellt. Ein offener und konstruktiver Umgang mit professionellen Unzulänglichkeiten oder auch Fehlentscheiden gehört dabei ebenso zu den geforderten Kompetenzen, ohne die in diesem komplexen Handlungsraum die nötige Beweglichkeit und Effektivität nicht möglich ist. Die Tätigkeit in Grenzbereichen der menschlichen Seele erfordert oft auch Gratwanderungen, die per se durch einen engen Spielraum definiert sind und im Interesse der Gesundung auch das kreative Spiel mit eben gerade diesen erfordert. Ein Beispiel dazu ist die enorme Kraft und auch die Macht der Dimension Humor, welche sich ständig im Grenzbereich der Interpretation befindet, diesen nutzt und auch mit Irritation kunstvoll umgeht und so neues Denken und Umstrukturierung möglich macht. Ein so unterstützter therapeutischer Veränderungsprozess bedarf guter Fahigkeiten in der Beziehungsgestaltung und in der Kompetenz Verunsicherungen zu ertragen und diese auch gezielt auffangen und im Auftrag der Hilfesuchenden nutzen zu können.
Erfahrung und Standvermögen sind darüber hinaus weitere nützliche Eigenschaften, welche psychotherapeutisch Tätige mit sich bringen sollten. Beides Eigenschaften, welche nicht lernbar sondern erwerbar sind, die Zeit, angeleiteter professioneller Reflektion und vieler Begegnungen bedürfen. Auf diesem Hintergrund ist gut zu verstehen, dass sich therapeutisches Handeln vom Studium bis zur professionellen Reife in Bezug auf die oben genannten Variablen auch starkt verändert. Braucht es doch beim Berufseinstieg viel Begleitung und mehr äussere orientierunggebende Elemente im Handwerkszeug. Universitäre Theoriebildung sollte diesen Sachverhalt nicht vernachlässigen.
Es bleibt zu hoffen, dass dieser Spielraum im Interesse der Hilfesuchenden nicht durch den Druck seitens der Kostenträger nur dem Primat der Wirtschaftlichkeit untergeordnet wird und mehr und mehr mechanistisch-uniformen Behandlungsvorgaben Platz machen muss. Ebenso gilt es die Forschungen im neuropsychologischen Feld und die Entwicklungen in der virtuellen oder virtuell unterstützten Psychotherapie zu verfolgen. Die oben genannte Komplexität wird jedoch auch in diesen Feldern eine grosse Aufgabe für die Forschung darstellen, welche mindestens mittelfristig kaum eine im Praxisfeld valide Alternative zur Verfügung wird stellen können wird. Was sicher eine grosse Unterstützung für die psychotherapeutische Versogung darstellen wird, sind die Möglichkeiten der ortsunabhängigen, mehr und mehr ‚realen‘ Begegnungsvarianten, welche durch die Informationstechnologien zur Verfügung gestellt werden.
Artikel in Bearbeitung / Reto Mischol 2014